Seit 2007 ist Aussenwerbung in São Paulo durch das „Lei Cidade Limpa“ (Gesetz der sauberen Stadt) radikal eingeschränkt. Auf einer Fassade von bis zu zehn Quadratmetern darf die Werbung anderthalb Quadratmeter nicht überschreiten. Auf einer Fläche bis zu 100 Quadratmeter darf sie höchstens vier ausmachen.
Dir Vorschrift ist fintenreich: Denn es zählt die Geschäftsfläche, die dem Finanzamt gemeldet ist – meistens ist sie kleiner angegeben, sodass die Werbung nun auch entsprechend schmal ausfallen muss. Meist bedeutet das, dass sie vollständig verschwindet. Leuchtreklamen, Plakatwände, Flaggen, Schilder, Logos, selbst Handzettel oder Reklameröhren auf Taxis und Logos auf Frachtplanen der Lastwagen – jede Art von Werbung ist betroffen. Nur Behörden und öffentliche Institutionen wie Schulen oder Krankenhäuser, dürfen weiterhin für sich werben. Wer sich nicht dran hält, wird empfindlich bestraft. Bei Zuwiderhandlung kann das Geschäft geschlossen werden. Mehr als 1500 Strafen hatte die Präfektur bis Ende des Jahres verhängt.
Die Stadt hat ihr Gesicht grundlegend geändert. Der Eindruck auf jemanden, der São Paulo von früher kennt und die Stadt jetzt nach dem Werbeverbot wieder sieht, ist frappierend: An manchen Stellen wirkt sie wie eine Fata Morgana. Plötzlich sind Gebäudekonstellationen zu erkennen, wo vorher nur knallige Reklame leuchtete. Hässliches kommt hinter den Skeletten der einstigen Werbetafeln zum Vorschein. Aber auch architektonische Klassiker tauchen wieder auf, etwa im alten Zentrum in der Umgebung der Börse. „Die Meisterwerke eines Oscar Niemeyer werden in São Paulo schnöde misshandelt wie bei uns früher die Werke von Gaudí, beobachtet der spanische Städteplaner Ferran Ferrer Viana, der an der Wiederauferstehung Barcelonas zu einer der schönsten Metropolen weltweit mitgearbeitet hat.
Ein angenehmer Effekt der werbelosen Stadt: Statt hektisch im Unterbewusstsein die vorbeirauschenden Werbebotschaften zu registrieren, bewegen sich die Menschen plötzlich stressfreier durch den zähfließenden Verkehr der Mega-Metropole. Das empfinden nicht nur professionelle Verkehrsteilnehmer wie Taxifahrer oder die rasenden Moto-Boys genannten Motorradboten. „Zum ersten Mal kann ich die Stadt sehen, statt sie permanent lesen zu müssen“, sagt Fernando Meirelles, der bekannte Filmregisseur („City of God“), „es ist, als ob uns ein Arzt wieder das Augenlicht zurückgegeben hat.“
Der Wechsel zwischen einer Stadt mit und ohne Werbung wird deutlich auf dem Weg zum Flughafen, der im Norden der Stadt in einem anderen Bezirk liegt: Kaum überquert man die Gemeindegrenze von São Paulo nach Guarulhos fliegt der Kopf wieder permanent im Sekundentakt von rechts nach links, angelockt von den gewaltigen, dort noch erlaubten Werbeflächen entlang der Autobahn.
Die Stadt hat die Nacht wieder zurückgewonnen seit die großen Leuchtreklamen fehlen. Unsicherer fühle man sich deshalb in der Metropole, kritisiert das knapp ein Drittel Paulistanos, das sich mit dem neuen Stadtbild nicht anfreunden kann. Dem Künstler Tony de Marco gefällt die neue Düsterkeit: „Ich musste früher die Rollläden schließen, wenn ich nachts TV schauen wollte, so hell war es.“ Der Künstler hat die wenigen Monate in denen die Werbung hastig demontiert wurde, aber die leeren Gestänge und blossgelegten Flächen noch nicht demontiert oder übermalt waren, mit einer Digitalkamera fotografisch dokumentiert (São Paulo No Logo). Beeindruckt von der Wirkung will sie der Regisseur Wim Wenders in seinem nächsten Film verwenden. „Die Fotos zeigen den Sound einer Stadt, die ihre Bewohner nicht mehr anschreit“, begeistert sich der Filmemacher. De Marcos Fotos sind jedoch teils bereits Historie. Denn immer mehr Ladeninhaber beginnen, ihre Fassaden zu verschönern, um wieder auf sich aufmerksam zu machen. Das kann einfach ein neuer Anstrich sein aber auch ein ganz neues Werbekonzept. Eine Kosmetikkette gestaltet ihre Filialen plötzlich transparent mit Vitrinen, in denen die Artikel so präsentiert werden, dass sie für sich sprechen. Unternehmen wie Nike, Motorola oder Sony Ericsson sprechen ihre jugendlichen Zielgruppen mit Graffitis an. Der Firmenname darf zwar nicht erscheinen, aber die Werbeagenturen setzen darauf, dass von Jugendlichen die Motive der Spraykünstler mit bestimmten Handys, Sportschuhen oder MP3-Playern assoziieren werden. Banken entdecken, dass sie architektonische Juwelen besitzen. „Die Werber wie die Unternehmen lernen mit ihren Fassaden zu werben“, sagt Regina Monteiro, die das Projekt „Saubere Stadt“ entwickelt hat, „Architektur bekommt einen neuen Stellenwert.“
Für den Architekten Isay Weinfeld muss die Stadt ihr neues Gesicht erst finden. „Es ist, als ob eine Maske gefallen ist“, sagt der Stararchitekt, „ohne die müssen wir mehr für das Aussehen tun als vorher.“ Doch der wichtigste Effekt der werbelosen Stadt ist ein ganz anderer: „Die Paulistanos sind erstmals stolz auf ihre Stadt“, schreibt der Essayist Roberto Pompeu de Toledo euphorisch, „denn es ist ein noch nie dagewesener Sieg der Ordnung über das Chaos, des Gemeinschaftssinns über den Egoismus, der Zivilisation über die Barbarei.“
Seit 2007 ist Aussenwerbung in São Paulo durch das „Lei Cidade Limpa“ (Gesetz der sauberen Stadt) radikal eingeschränkt. Auf einer Fassade von bis zu zehn Quadratmetern darf die Werbung anderthalb Quadratmeter nicht überschreiten. Auf einer Fläche bis zu 100 Quadratmeter darf sie höchstens vier ausmachen.
Dir Vorschrift ist fintenreich: Denn es zählt die Geschäftsfläche, die dem Finanzamt gemeldet ist – meistens ist sie kleiner angegeben, sodass die Werbung nun auch entsprechend schmal ausfallen muss. Meist bedeutet das, dass sie vollständig verschwindet. Leuchtreklamen, Plakatwände, Flaggen, Schilder, Logos, selbst Handzettel oder Reklameröhren auf Taxis und Logos auf Frachtplanen der Lastwagen – jede Art von Werbung ist betroffen. Nur Behörden und öffentliche Institutionen wie Schulen oder Krankenhäuser, dürfen weiterhin für sich werben. Wer sich nicht dran hält, wird empfindlich bestraft. Bei Zuwiderhandlung kann das Geschäft geschlossen werden. Mehr als 1500 Strafen hatte die Präfektur bis Ende des Jahres verhängt.
Die Stadt hat ihr Gesicht grundlegend geändert. Der Eindruck auf jemanden, der São Paulo von früher kennt und die Stadt jetzt nach dem Werbeverbot wieder sieht, ist frappierend: An manchen Stellen wirkt sie wie eine Fata Morgana. Plötzlich sind Gebäudekonstellationen zu erkennen, wo vorher nur knallige Reklame leuchtete. Hässliches kommt hinter den Skeletten der einstigen Werbetafeln zum Vorschein. Aber auch architektonische Klassiker tauchen wieder auf, etwa im alten Zentrum in der Umgebung der Börse. „Die Meisterwerke eines Oscar Niemeyer werden in São Paulo schnöde misshandelt wie bei uns früher die Werke von Gaudí, beobachtet der spanische Städteplaner Ferran Ferrer Viana, der an der Wiederauferstehung Barcelonas zu einer der schönsten Metropolen weltweit mitgearbeitet hat.
Ein angenehmer Effekt der werbelosen Stadt: Statt hektisch im Unterbewusstsein die vorbeirauschenden Werbebotschaften zu registrieren, bewegen sich die Menschen plötzlich stressfreier durch den zähfließenden Verkehr der Mega-Metropole. Das empfinden nicht nur professionelle Verkehrsteilnehmer wie Taxifahrer oder die rasenden Moto-Boys genannten Motorradboten. „Zum ersten Mal kann ich die Stadt sehen, statt sie permanent lesen zu müssen“, sagt Fernando Meirelles, der bekannte Filmregisseur („City of God“), „es ist, als ob uns ein Arzt wieder das Augenlicht zurückgegeben hat.“
Der Wechsel zwischen einer Stadt mit und ohne Werbung wird deutlich auf dem Weg zum Flughafen, der im Norden der Stadt in einem anderen Bezirk liegt: Kaum überquert man die Gemeindegrenze von São Paulo nach Guarulhos fliegt der Kopf wieder permanent im Sekundentakt von rechts nach links, angelockt von den gewaltigen, dort noch erlaubten Werbeflächen entlang der Autobahn.
Die Stadt hat die Nacht wieder zurückgewonnen seit die großen Leuchtreklamen fehlen. Unsicherer fühle man sich deshalb in der Metropole, kritisiert das knapp ein Drittel Paulistanos, das sich mit dem neuen Stadtbild nicht anfreunden kann. Dem Künstler Tony de Marco gefällt die neue Düsterkeit: „Ich musste früher die Rollläden schließen, wenn ich nachts TV schauen wollte, so hell war es.“ Der Künstler hat die wenigen Monate in denen die Werbung hastig demontiert wurde, aber die leeren Gestänge und blossgelegten Flächen noch nicht demontiert oder übermalt waren, mit einer Digitalkamera fotografisch dokumentiert (São Paulo No Logo). Beeindruckt von der Wirkung will sie der Regisseur Wim Wenders in seinem nächsten Film verwenden. „Die Fotos zeigen den Sound einer Stadt, die ihre Bewohner nicht mehr anschreit“, begeistert sich der Filmemacher. De Marcos Fotos sind jedoch teils bereits Historie. Denn immer mehr Ladeninhaber beginnen, ihre Fassaden zu verschönern, um wieder auf sich aufmerksam zu machen. Das kann einfach ein neuer Anstrich sein aber auch ein ganz neues Werbekonzept. Eine Kosmetikkette gestaltet ihre Filialen plötzlich transparent mit Vitrinen, in denen die Artikel so präsentiert werden, dass sie für sich sprechen. Unternehmen wie Nike, Motorola oder Sony Ericsson sprechen ihre jugendlichen Zielgruppen mit Graffitis an. Der Firmenname darf zwar nicht erscheinen, aber die Werbeagenturen setzen darauf, dass von Jugendlichen die Motive der Spraykünstler mit bestimmten Handys, Sportschuhen oder MP3-Playern assoziieren werden. Banken entdecken, dass sie architektonische Juwelen besitzen. „Die Werber wie die Unternehmen lernen mit ihren Fassaden zu werben“, sagt Regina Monteiro, die das Projekt „Saubere Stadt“ entwickelt hat, „Architektur bekommt einen neuen Stellenwert.“
Für den Architekten Isay Weinfeld muss die Stadt ihr neues Gesicht erst finden. „Es ist, als ob eine Maske gefallen ist“, sagt der Stararchitekt, „ohne die müssen wir mehr für das Aussehen tun als vorher.“ Doch der wichtigste Effekt der werbelosen Stadt ist ein ganz anderer: „Die Paulistanos sind erstmals stolz auf ihre Stadt“, schreibt der Essayist Roberto Pompeu de Toledo euphorisch, „denn es ist ein noch nie dagewesener Sieg der Ordnung über das Chaos, des Gemeinschaftssinns über den Egoismus, der Zivilisation über die Barbarei.“
Referat, Jürg Büchi
Photos Tony de Marco, São Paulo No Logo http://www.tonydemarco.com.br
theguardian: Can cities kick ads?, 08.2015
Tagesanzeiger, Beat Metzler: Wenn die Werbung weg ist, 11.2014